Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Drei Männer folgen einem Stern oder:
Von Macht und Ohnmacht

Weihnachten 2009

 

Als Jesus in Bethlehem in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, seht, da kamen königliche Magier aus dem Osten nach Jerusalem. Sie sagten: Wo ist der neugeborene König des jüdischen Volkes? Wir haben seinen Stern im Osten aufgehen sehen und sind gekommen, um ih zu huldigen.

(Matthäus 2,1-2 - Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)

 

Liebe Gemeinde,

die Weisen aus dem Morgenland haben in den letzten zweitausend Jahren die Phantasie der Menschen ungeheuer angeregt. Unzählige Geschichten und Legenden ranken sich um sie, Künstlerinnen und Künstler durch die Jahrhunderte haben sie auf Leinwand gebannt, aus Holz geschnitzt, aus Ton getöpfert. In den frühchristlichen Malereien in den Katakomben waren sie sogar das häufigste Motiv im Rahmen der Darstellungen zur Geburt Jesu. Wer sind diese Männer? Schauen wir in den Bibeltext steht da: Magier - und das kann viel bedeuten. Sterndeuter passt schon auch. Bis zum Mittelalter entwickeln sie sich zu den drei Heiligen Königen Melchior, Caspar und Balthasar. Was ist dran an den Magiern aus dem Osten, die dem Stern folgen, dass sie uns bis heute so bewegen, berühren, faszinieren? Meine Antwort: es liegt daran, dass hier die Machtfrage gestellt - und beantwortet wird.

Macht.

Was ist das, wer hat sie? Wir reden so schnell von den "Mächtigen" der Welt, den "Machthabern". Von denen da oben, die entscheiden, über uns entscheiden. Doch sind sie, die Obamas, die Merkels, wirklich so mächtig? In Kopenhagen vor einigen Tagen zeigten sie sich ziemlich ohnmächtig... Ich will das garnicht abschätzig sagen. Jede und jeder, die und der Verantwortung irgendwo übernimmt, sei es in der Politik, im Vereinswesen, in der Kirche, spürt schnell, dass es mit der "reinen" Macht nicht weit her ist.Man kann nicht einfach als Machthabender sagen: so soll es sein - und alle sind glücklich und zufrieden... Ich glaube, dass den allermeisten sogenannten Machthabern und Machthaberinnen im politischen Bereich ihre Macht schwer auf den Schultern liegt und ihnen die von erwarteten, verlangten, erhofften Entscheidungen nicht leicht fallen. Und da sie wir wir alle Menschen sind, geschehen Fehler. In unserer medial aufgeheizten Welt ist das ein Problem, weil sich die Medien begierig auf jede Schwäche, jeden Fehler stürzen und genüßlich ausweiden. Medien haben auch Macht. Da fällt es schwer, Fehlentscheidungen einzugestehen. Politische Macht auszuüben ist nicht einfach.

Ganz sicher gibt es heute aber auch Machthaber, politisch Verantwortliche, Männer wie Frauen, die ihre Macht missbrauchen wie der König Herodes. Der verwechselt Macht mit Stärke und denkt nur an die Grenzen seines Reiches. Im Innersten seines Herzens fühlt er sich aber weder mächtig noch stark, sondern verängstigt und hilflos. Aber Schwäche zeigen geht nicht. Und so greift er zur Gewalt, wie es durch die Geschichte immer wieder geschehen ist und wohl auch noch weiter geschehen wird... Gewalt hat aber niemals Macht, kommt stets aus der Ohnmacht...

Wahre Macht ist etwas ganz anderes. Macht ist nicht Stärke. Muskeln haben Kraft und Stärke, Muskeln (und Waffen) haben aber keine Macht. Macht spielt sich zwischen uns Menschen ab, wir geben einander Macht, ob das in der Gesellschaft oder im zwischenmenschlichen Bereich - oder auch tief in uns drinnen ist. Macht hat eigentlich wenig damit zu tun, einfach bestimmen zu können. Macht entsteht, wenn Menschen zusammen kommen, wenn sie von einer gemeinsamen Idee beseelt sind. Die eindrücklichsten Beispiele sind dafür immer wieder friedliche Volksaufstände. Manche gelingen - wie in der DDR 1989, manche werden mit Gewalt niedergeschlagen, wie dieses Jahr noch im Iran. Macht ist etwas, das "irgendwie" zwischen uns geschieht, schwer zu fassen ist. Man könnte auch sagen: Wahre Macht, Macht, die uns anregt, mitreißt, begeistert - kommt aus dem Herzen. Das wußte schon der kleine Prinz, wenn er sagt: "Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Dieser Satz ist so wahr, der könnte glatt in der Bibel stehen.

Was "sehen" also die mächtigen drei heiligen Könige mit dem Herzen da in der Krippe? Ist doch nur ein Kind. Ein neugeborener König? Was ist denn da zu sehen? Auch für uns, denn wir spüren´s doch auch, dass da "etwas" ist? Was für eine Macht hat dieses Kind, diese Geburt?

Jeder Geburt haftet ein Zauber an. Neues Leben. Unschuldig und rein, ein Wunder, nicht erklärbar, nicht machbar. Die große Philosophin Hannah Arendt konnte daher sagen, dass mit der Geburt jedes Menschen "etwas Einzigartig Neues in der Welt" erscheint (Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 2002 (Taschenbuchausgabe), S. 217). Und wenn dies schon bei uns normal Sterblichen so ist, was erst bedeutet die Geburt Jesu in unserer Welt! Diese Bedeutung erschließt sich allerdings erst von hinten her, wenn die Taten und Worte Jesu bekannt sind, von daher sehen es die drei Weisen, die Könige erst recht nur mit ihren Herzen. Aber wir heute, wir wissen um die Worte und Taten Jesu und feiern daher die Geburt Jesu als den Beginn von etwas gänzlich Neuem, Machtvollem! das mit ihm in unserer Welt anfängt. Und diesem König, dieser Macht huldigen die drei Könige, die Machthaber - und ich glaube, dass hier die Frömmigkeit über Jahrhunderte hinweg aus den Weisen eben Könige machte - um auch den "echten" Machthabern den Spiegel vorzuhalten: die drei Könige beten das Kind und seine Macht, doch wie steht es um euch?

Und was ist diese Macht, die so ganz anders ist als unsere vordergründige Stärke? Die auf Gewalt verzichtet und lieber erleidet? Was hat Jesus ausgezeichnet, dass er Macht über die Herzen der Menschen gewonnen hat? Welcher Gedanke hat ihn so beseelt, dass er in der Begegnung mit Jesus auf andere übersprang? Wir können auch fragen: welche Botschaft liegt in dem Symbol der Geburt Jesu, die bis heute Macht über unsere Herzen ausübt, uns anzieht, eine Ahnung von Heil, Glück und Frieden vermittelt?

Es ist die Hoffnung auf Gott, der uns liebt und verzeiht und so uns stets neue Anfänge ermöglicht. Die sichtbare Welt hält sich lieber an Gewalt und Äußerlichkeiten und versucht so doch nur die tief sitzende Angst zu beruhigen - erfolglos. König Herodes schickt Soldaten, die mit Gewalt und Blut gegen den neuen König und seine Macht angehen sollen - erfolglos. Es gibt so vieles, was wir Tag für Tag aus lauter Angst, wir könnten unser Leben verpassen, mit dem Leben verwechseln. Auch wir suchen unsere Angst zu beruhigen, gehen mit Gewalt gegen uns selbst und andere vor. Würden wir doch lieber auf die Stimme unseres Herzens hören! Ein Stern weist den Weg, ein Kind in einer Krippe ist die Hoffnung auf Neubeginn. Noch einmal Hannah Arendt, Jüdin, keine Christin: "Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien die 'frohe Botschaft' verkünden: 'Uns ist ein Kind geboren'" (a.a.O. 317).

Die Macht der Weihnachtsbotschaft heißt Vertrauen gegen alle Vernunft, Vertrauen gegen alle Hoffnungslosigkeit. Weil Gott in einem Kind einen Neuanfang setzt und wagt, gibt es Hoffnung für uns. Eine Hoffnung freilich, die nur mit dem Herzen zu sehen ist.

Wir können manchmal von den Tieren lernen, wie wir leben sollten. In der Antarktis brüten in diesen Tagen die Pinguine in den Falten ihres Körpers ihre Jungen aus. Mehr als 50 Prozent des Geleges kommt dabei um. Die Alten werden alles tun, um die Jungvögel großzuziehen, und die Jungtiere müssen sehr schnell wachsen. In weniger als einem Monat müssen sie selbst sich versorgen können. Und wenn dieser Zeitpunkt kommt, hören die Altvögel auf, ihre Jungen zu ernähren. Die Tiere haben Hunger, doch ein innerer Instinkt sagt ihnen, daß sie ihre Nahrung nur finden können, wenn sie sich hinausgetrauen auf die Weite des Meeres. Die Brandung ist dabei gefährlich stark, Kanten von Eis versperren den Weg, viele der jungen Pinguine, die sich in das Wasser werfen, bezahlen ihren Mut mit ihrem Leben. Und doch wissen die Jungtiere, daß sie das Leben nur finden können, indem sie sich auf dem Weg gegen die Angst hineingetrauen ins Wasser. Immer wieder, wenn die Wellen an den Strand rollen, sieht man eine große Zahl der jungen Vögel zunächst zurückfliehen aufs Festland, hilflos rufen sie nach ihren Elterntieren, doch die sind weit weg, und der Weg führt nur nach vorn. Am Ende bleibt den Vögeln nichts anderes übrig, als sich dem für sie noch unbekannten Meer an zu vertrauen. Und diese Tiere, denen man nie gezeigt hat, was Schwimmen ist, breiten ihre stummelartigen Flügel aus und vertrauen sich dem Wasser an; tausend Meilen weit schwimmen sie ihrem endgültigen Aufenthaltsort entgegen, um dort ihr eigenes Leben zu lernen.

Liebe Gemeinde,
wenn Pinguine denken könnten, läge ihr Ziel tausend Meilen weit entfernt von ihrem Geburtsort. Sie hätten es nie gesehen, und der Weg dahin käme ihnen, voller Angst vor den drohenden Gefahren, fast unzumutbar schwer vor; doch Gott spricht zu ihnen in der Stimme ihres Hungers, in der Triebkraft ihrer Sehnsucht, in dem Drang ihres Lebens, und er sagt ihnen: "Wagt euch ins Meer! Laßt das Land, wo ihr nicht leben könnt, hinter euch! Vertraut euch selbst und der stärksten Stimme, die euch leitet! Ihr werdet ankommen!" (nach Eugen Drewermann, Das Evangelium nach Matthäus. Bilder der Erfüllung. Erster Teil. Olten 1999, S. 305f.)

Liebe Gemeinde,

Gott sagt auch zu uns: Wagt euch hinaus, lasst hinter euch, was euch am Leben hindert! Vertraut der göttlichen Stimme in euch, die euch leitet! Die drei Weisen, die heiligen Könige taten es, ließen ihre Reiche hinter sich und folgten einem Stern. Folgen wir ihnen nach auf dem Weg in eine Zukunft, von der wir nicht wissen, was sie uns bringt, von der wir aber wissen, dass wir auch dort nicht allein sind. Von der Macht dieser göttlichen Zusage war Jesus erfüllt und er gab sie weiter an uns. Und wir sehen diese Macht mit den Königen an der Krippe, aber nur mit dem Herzen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein machtvolles Weihnachtsfest.

Amen.